Beruf, Forschungen

Der Schuss auf die Mönche: Wie Kameras unser Verhältnis zu Burma bestimmen

(Erstabdruck im Jahrbuch Friedenskultur 2008)

Hatte die visuelle Entsprechung zum Begriff Burma1 in unserem Kulturraum bislang vor allem in exotisch schönen Fotos der Reiseprospekte bestanden, so hat sich dieses Land spätestens seit der “Safranrevolution” und dem Zyklon “Nargis” vom touristischen zum überwiegend journalistischen Produkt gewandelt. So interessant das Phänomen Burma aus medienwissenschaftlicher Sicht ist, so bestürzend sind aber auch die Implikationen, wenn wir an die Schicksale einiger Millionen Burmesen denken. Aufschlussreich dürfte zudem sein, was diese Mechanismen für globales gesellschaftliches Engagement im allgemeinen bedeuten.

Burma gehört dabei entgegen einiger Klischees durchaus nicht zu den Ländern, das moderne Kulturtechniken erst zu lernen bräuchte. Das Zeitungswesen etwa kann dort eine weit zurückreichende Tradition vorweisen, die sich auch außerhalb der britischen Kolonien in vielfachen Formen manifestierte. Dies ist nicht verwunderlich angesichts der hohen Alphabetisierung, die das Land einer ursprünglich in klösterliche Lebensweise eingebetteten Schulausbildung verdankt.

Als vielleicht interessantester Indikator einer frühen burmesischen Presselandschaft ist ein Gesetz zu nennen, das am 15. August 1873 von König Mindon erlassen wurde und das in 17 Artikeln etwas garantierte, was wir heute als Pressefreiheit bezeichnen würden2. Diese scheinbare Liberalität soll jedoch nicht über die schon damals praktisch sehr viel beschränkteren Möglichkeiten hinwegtäuschen. Als erstes indigene südostasiatische Gesetz für Pressefreiheit in dem noch nicht kolonialisierten Landesteil steht es im krassen Gegensatz zur heutigen Situation, wenn Burma zu denjenigen Ländern zählt, die weltweit die härteste und umfassendste Medienzensur ausüben. Festgehalten hat das etwa die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Burma auf dem Platz 164 von insgesamt 169 ansiedelt3. Der Jahresbericht von 2008 erwähnt zudem den ermordeten japanischen Reporter Kenji Nagai und etwa 15 verhaftete burmesische Journalisten, wobei die Gesamtzahl mit den Schriftstellern wesentlich höher liegt4.

Repressionen gegen Medien haben in Burma eine jahrzehntelange Geschichte. Seit der staatlichen Unabhängigkeit Burmas erfolgt der erste noch heute gültige Einschnitt nach dem Militärcoup im Jahr 1962 mit dem Printers and Publishers Registration Law. Diesem Gesetz zufolge müssen Verleger Belegexemplare von Büchern, Magazinen und Zeitschriften an die Zensurbehörde5 abliefern. Ein mögliches Verbot greift dabei zumeist in den Produktionsablauf zwischen Druck und Verkauf ein und fördert damit die Selbstzensur, da Verleger andernfalls das Risiko eingehen, auf einer bereits gedruckten Ausgabe sitzen zu bleiben.

Ähnlich restriktiv ist heute der Zugang zum Internet: Nach Forschungen der OpenNet Initiative6 haben lediglich 0,1 bis 0,6 Prozent der burmesischen Bevölkerung Zugang zum Internet. Sowohl die Nutzung über Modem als auch in Internet-Cafés unterliegt vor allem finanziellen Hürden. Wie in anderen Aspekten des burmesischen Alltags gilt auch hier, dass Touristen sehr viel günstigere Bedingungen vorfinden als Einheimische. Die Forschungen der OpenNet Initiative belegen zudem eine umfassende Zensur des Internets, wenn auch nicht so systematisch wie etwa in China. Etwa 84 Prozent der Webseiten mit regimekritischem Inhalt und 85 Prozent der kostenlosen Webmail-Angebote sind blockiert, wobei sich die Kriterien je nach politischer Tagesstimmung verschieben können. Das 1996 erlassene Computer Development Law verlangt eine Lizenz für alle netzwerkfähigen Computer und Faxgeräte. Verstöße werden mit Geldstrafen und Gefängnis bis zu 15 Jahren bestraft. Unter Strafe gestellt ist ferner die ungenehmigte Erstellung von Webseiten.

Wie im Fall des Internets ist auch Satellitentechnik in Burma verfügbar, die Verbreitung jedoch an technische und finanzielle Voraussetzungen gebunden und somit fast nur in den großen Städten anzutreffen. Da die Netzspannung allgemein mehrmals pro Tag von 220 auf bis zu 80 Volt abfällt, benötigt jedes elektronische Gerät eigene Schutzvorrichtungen, um nicht innerhalb kurzer Zeit zerstört zu werden. Nach den Protesten letzten Jahres, als tagesaktuelle Informationen schließlich nur noch über Satellit und Kurzwellensender ins Land gelangen konnten, reagierte das Regime umgehend mit Restriktionen: Die Lizenzgebühr für Satellitenempfänger wurde im Januar um das 166-fache von 5 auf 780 US Dollar angehoben7.

Nach dem Television and Video Act von 1996 sowie dem Motion Picture Law erfordert auch der Besitz von Fernsehgeräten und Videorekordern eine Lizenz. Die Videozensurbehörde ist für eine Kontrolle sämtlichen Filmmaterials verantwortlich, das Burma erreicht oder verlässt. Erfahrungsgemäß wird dieses Gesetz bei Touristen jedoch eher liberal gehandhabt, ganz zum Nutzen des sich größtenteils in der Hand der regierenden Cliquen befindlichen Tourismusgewerbes.

Zwischen Pressefreiheit und Medieninteresse

Bereits während der Proteste im Jahr 1988 kam es zu einer Vielzahl neuer Aktivitäten, die sich gegen Beschränkungen der Pressefreiheit richteten. Zwischen August und September entstanden hunderte neuer Zeitungen, Journale und Pamphlets, deren Ausführung die gesamte Bandbreite zwischen professionellem Medium und Fotokopie bis hin zu per Hand abgeschriebenen Ausgaben abdeckte. Selbst regierungstreue Blätter begannen kritisch über die Veränderungen zu berichten8. Die Pressefreiheit fand erneut ein Ende, als das Kriegsrecht ausgerufen wurde und Militär und Geheimdienst alle kritischen Meinungsäußerungen gewaltsam unterdrückten.

Auffällig ist, dass heute kaum visuelle Dokumente dieser wichtigen Ereignisse existieren. Druckwerke sind erhalten geblieben, viele politische Karikaturen, vor allem aber schriftliche Zeugnisse und mündliche Überlieferungen. Erst von dem anschließenden Wahlkampf vor den bis heute letzten freien Wahlen in Burma existieren wieder Aufnahmen, so vor allem von Aung San Suu Kyi. Aber auch hier bricht die Verfügbarkeit von Dokumenten ein, wenn es zu dem Massaker in Depayin kommt, einem gescheiterten Attentatsversuch an der Oppositionsführerin im Jahr 2003.

Von der Wirtschaftskrise, die bereits 1988 die Proteste ausgelöst hatte, waren ganz sicher auch die technischen Möglichkeiten regierungskritischer Dokumentaristen betroffen. Von verdeckten Videoaufnahmen konnte damals vor dem Zeitalter einer Miniaturisierung der Aufnahmetechnik noch keine Rede sein. Schmalfilm-Formate waren ungeeignet, um eine Kamera längere Zeit einfach mitlaufen zu lassen.

Die Proteste und ihre Niederschlagung von 2007 traten daher medial völlig anders in Erscheinung als ihre Vorläufer vor 19 Jahren. Davon zeugt nicht zuletzt die im Westen eilends geprägte Bezeichnung der “Safranrevolution”, die auf die Roben der Mönche Bezug nimmt und somit ganz direkt die visuelle Dimension zum bezeichnenden Element macht. Hierbei wurde, wohl auch in einer beinahe wortmagischen Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang, die Verbindung zu europäischen Begriff gewordenen Protesten hergestellt – in ihrer Gewaltlosigkeit als “samten” bezeichnet oder mit Farben wie Orange oder Blau charakterisiert.

Medienpräsenz enthüllt jedoch in den sie begleitenden Leerstellen ebenso das Versagen der Medien wie auch die Schwäche derjenigen, die den Anforderungen einer Medientauglichkeit nicht genügen können. Hatten sich die Kameras der Journalisten erst auf die Farbe der Roben “eingeschossen”, waren einige Konsequenzen unausweichlich, von denen hier nur die drei wichtigsten genannt werden sollen. Erstens: Es wurde fälschlich angenommen, dass Mönche in Burma erstmals im September 2007 ihre Stimme öffentlich für politische Belange erhoben hätten. Zweitens: Ebenso falsch ist der durch den Großteil der Berichte vermittelte Eindruck, dass diese Proteste erst mit dem Auftreten der Mönche begonnen hätten. Vielmehr wurden sie durch bekannte Aktivisten initiiert, die damals praktisch kein Medieninteresse gefunden hatten und gerade im exklusiven Blick auf safranfarbene Roben medial nicht existieren konnten. Und drittens: Die auf Umzüge betender Mönche und Nonnen konditionierten Kameraobjektive mussten der ihrer Arbeit zugrunde liegenden Logik zufolge davon ausgehen, dass wieder Ruhe und Frieden eingekehrt waren, als keine Mönche mehr zu sehen waren. Doch was war wirklich passiert? Das Militärregime hatte sich nach einer kurzen Phase der Verwirrung auf eine seiner Stärken gegenüber dem Ausland zurück besonnen: auf seine Informationshoheit in Burma. Diese durch die Beseitigung kritischer Berichterstatter wiederherzustellen war der erste Schritt zur Imagekorrektur, der zweite eine Verschiebung gewaltsamer Aktivitäten aus den Tag- in die Nachtzeiten und aus dem Zentrum Ranguns hinaus in die Klöster, Vororte und Provinzen. Das Konzept ging endgültig auf, als die Mönche gewaltsam ihrer Roben beraubt wurden und die Revolution somit neben ihrer religiösen Symbolik auch ihre medienrelevante Farbe einbüßte. Die internationale Gemeinschaft “honorierte” dieses Verbergen der Gewalt mit Nichteinmischung. Gleichzeitig begann das Regime das bereits bekannte “Theater vom guten Willen” vorzuspielen, zu deren Elementen ergebnisarme Treffen mit UNO-Gesandten und Schritte auf einem unheilvoll an Kafkas “Schloss” gemahnenden Weg zu einer vorgeblichen Demokratisierung gehören. Auch das ist eine Seite der Vermedialisierung internationalen Engagements, wenn die Nachfrage nach konkurrenzfähigen Schlagzeilen und griffigen Informationen zu einem Werkzeug in der Hand von Regimen wird. Bereits im Mai konnte der Zyklon diesen Befund bestätigen, als westliche Medien oft im gänzlichen Widerspruch zur journalistischen Intuition die grotesk heruntergespielten Opferzahlen aus burmesischen Regimequellen übernahmen, obwohl sich unabhängigere Schätzungen durchweg als zutreffender erwiesen als die offiziellen “harten Fakten”.

Ist Medieninteresse maßgebend für globale Verantwortung?

Die burmesische Bevölkerung hat letztendlich im Umgang mit der internationalen Medienöffentlichkeit zweimal aus Schaden klug werden müssen: Einmal im Jahr 1988, als die Isolation des Landes, ein weltweit unterentwickeltes Bewusstsein für die Globalität nichtstaatlichen Handelns und vor allem mangelnde technische Voraussetzungen dazu geführt hatten, dass die Macht internationaler Medien nicht systematisch genutzt wurde. Dann, zum anderen, als 19 Jahre später gerade dieser Mangel behoben wurde und etablierte burmesische Exilmedien in der Lage waren, mit Hilfe eines intelligenten Netzes semiprofessioneller Berichterstatter das Informationsmonopol des Regimes zu durchbrechen. Dem Erfolg, dass authentische und beweiskräftige Bilder an die Weltöffentlichkeit gelangten und tagelang die Schlagzeilen begleiteten, folgte sogleich die ernüchternde Einsicht, dass die Unterstützer des Regimes wie etwa China und Russland zu mächtig sind und demokratische Staaten, die sich eigentlich zu Menschenrechten bekennen, keinen hinreichenden politischen Willen aufbringen. Für Burma engagierte Organisationen konnten dabei eine Entwicklung öffentlichen Interesses beobachten, die ganz offensichtlich der Intensität der Berichterstattung folgte und nur in Ansätzen einen “Memory-Effekt” zurückließ.

Aktivisten für globale Menschen- und Bürgerrechte müssen gerade nach der Erfahrung der zwei vergangenen Mediengroßereignisse in und um Burma und ebenso mit Blick auf die jüngst niedergeschlagenen Proteste in Tibet und einem in diesem Fall, dank der Olympischen Spiele, nicht ganz so schnell abflauenden öffentlichen Interesses eine ganz elementare Abhängigkeit ihrer Arbeit von den Prioritäten der Medien voraussetzen, wenn eine Mobilisierung öffentlicher und staatlicher Unterstützung angestrebt wird. Die Form und Intensität der medialen Darbietung und die Verzahnung mit den Mechanismen der Medienproduktion bestimmen noch weit vor einer Dringlichkeit des Anliegens den Erfolg dieser Bemühungen. Des weiteren ist davon auszugehen, dass die “Halbwertszeit” von Medieninteresse kaum sinnvolles Helfen ermöglicht, wenn man an die weitaus größeren zeitlichen Dimensionen denkt, die bei strategischen Planungen, Mittelbeschaffung und Personalentscheidungen vorherrschen. Ganz eklatant war dies als Defizit sichtbar, als Medienvertreter im September letzten Jahres europaweit nach Burma-Experten suchten und nur diejenigen fanden, die sich praktisch ohne gesellschaftliche Unterstützung ihre Kompetenz selbst erarbeitet hatten, nun die Aufmerksamkeitswelle bewältigen mussten und dann nach wenigen Wochen wieder mit leeren Händen dastanden.

Im zweiten Schritt ist folglich zu überlegen, ob nicht ein größerer Anteil der Bemühungen in eine günstige Veränderung der Medienlandschaft investiert werden sollte. Dies kann bei der journalistischen Ausbildung ansetzen, bei gesetzlichen Voraussetzungen, bei der Förderung einer allgemeinen kritischen Medienkompetenz, bis hin zur Etablierung eigener Instrumente und Einrichtungen. Ein mögliches Ergebnis etwa könnte wie die bereits erwähnten burmesischen Exilmedien aussehen, die in der gesamten Produktionskette autonom agieren können und denen nur eine breitere und längerfristig interessierte Leser- bzw. Hörerschaft fehlt.

[hr]

1Im Deutschen sind ebenso die Bezeichnungen “Birma” oder “Myanmar” anzutreffen.

2“If I do wrong, write about me. If the queens do wrong, write about them. If my sons and my daughters do wrong, write about them. If the judges and mayors do wrong, write about them. No one shall take action against the journals for writing the truth. They shall go in and out of the palace freely.” (www.irrawaddy.org)

3Reporters sans frontiers, „Press Freedom Index 2006‟

4www.aappb.org

5Press Scrutiny Board (PSD)

6opennet.net

7www.irrawaddy.org/article.php?art_id=9782

8Tin Maung Maung Than: The Media in Myanmar. In: Media Fortunes, Changing Times: ASEAN States in Transition. Singapore 2000