Budo, Jodo

Shintó Musó Ryú Jódó Gasshuku in Italien

Bier in Pisa

Jodo hat sich zu einer interessanten Ergänzung von Aikido entwickelt. Aikido funktioniert nicht nur intuitiver, sondern auch die Art des Trainings ist eine völlig andere. In Aikido begegnet man ziemlich früh allen möglichen Techniken, und erst allmählich beherrscht man sie immer besser. Das Trainingsklima ist dort eher locker. In Jodo geht es in festgelegten Stufen voran, und bestimmte Lehrer entscheiden, wann man die nächste Stufe versuchen darf.

Bei dem Jodo, das ich betreibe, handelt es sich um eine relativ alte Schule1, die aus dem 17. Jahrhundert stammt, dabei Bestandteile2 älterer und jüngerer Schulen integriert und hin und wieder Veränderungen erfahren hat. Viele Aikidoka glauben fälschlich, dass das, was sie mit dem Jo machen, mehr oder weniger den Kern von Jodo repräsentiere. Die Katas3 des alten Jodo sind aber völlig anders, zudem wird ein sehr viel größeres Gewicht darauf gelegt, die Handhabung von Ken und Jo und allgemeine Prinzipien zu beherrschen.

Zum Beispiel wird lange ein relativ simpel erscheinender Schlag geübt, der ursprünglich auf die Schläfe des Angreifers zielt, heute natürlich aber nur das Schwert trifft. Diese einfache Technik verführt gerade Anfänger zur falschen Ausführung und lässt sich selbst nach Jahrzehnten immer noch verbessern, und von ihrer Effizienz hängt viel ab. Obwohl es sehr raffinierte Jodo-Techniken gibt, besteht eine Kata keineswegs aus filmreifen Tricks und Stunts, sondern ist sehr kurz, und ihre Wirksamkeit beruht auf der optimalen Ausführung sogar der einfachsten Parameter wie der Hand- und Körperhaltung, der Gewichtsverlagerung, des Zeitpunkts, des Abstands, ja sogar wie man mit seinem Auftreten den Gegner in eine bestimmte Position zwingt.

Hier lernt man also viel von dem, was allgemein als Grundlagen von Budo gelten kann. Als wesentliches Element gehört dazu auch die Form des Lernens oder des Studiums, die Selbstdisziplin, eine Ausdauer über lange Zeiten der Selbstzweifel hinweg, und auch eine Bescheidenheit selbst als Fortgeschrittener, in der man sich immer nur als ein Schüler seiner (jetzigen oder früheren) Lehrer fühlt und den eigenen Schülern gegenüber keine Überheblichkeit, sondern Verantwortung empfindet.

Zu diesen Aspekten kommt bei Shintó Musó Ryú hinzu, dass die Übungsgruppen zumeist sehr klein sind und verstreut leben und oft als “Huckepack-Training” in anderen Dojos mitlaufen. Das führt zu einer besonderen Bedeutung der Seminare, zu denen die Übenden zumeist sogar aus den benachbarten Ländern anreisen. Viele Leute dort kennen sich bereits seit etlichen Jahrzehnten. Neuankömmlinge werden aber sofort freundlich integriert. Die Mitglieder des Dachverbandes leben verstreut über Europa, von Spanien bis Russland und von Italien bis Finnland, und einige kommen zu den jährlichen größeren Treffen sogar aus Kanada, Malaysia oder Australien.

Gasshuku in Tirrenia

Begrüßung in allen Sprachen der Teilnehmer.

Letzte Woche ist gerade der diesjährige Gasshuku zu Ende gegangen, der diesmal in der Nähe von Pisa stattgefunden hat. Etwa 130 Teilnehmer trainierten 4 volle Tage und einen fünften 3/4 Tag, jeweils bis zu 7 Stunden. Auf den weiten Feldern gab es zumeist keine Schatten. Das erste Training bestand aus einer Stunde Kihon ab halb 7, im feuchten Gras vor Sonnenaufgang über den Wipfeln der Bäume. Die freundliche und lustige Atmosphäre ließ einen die Strapazen aber schnell vergessen.

Zwei Tage vor den Prüfungen erfuhr ich davon, dass ich teilnehmen sollte. Glücklicherweise ging alles glatt. Die Kihon und Katas sind natürlich nie perfekt und die Last-Minute-Korrekturen der Lehrer machen einen eher nervöser, als dass sie etwas verbessern. Zum Glück hatte ich meine letzte Kata über zwei Jahre hinweg üben können, und daher war es nur noch eine Frage der Routine, sich während der Prüfung nicht irgendeinen Patzer zu erlauben.

In Aikido und Jodo zusammen habe ich nun insgesamt 12 Prüfungen absolviert.4 Manche waren eigentlich nur Formalitäten, andere erforderten monatelange Vorbereitung oder waren ziemliche Nervenproben. Statt dessen hätte ich mich auch auf nur eine Disziplin konzentrieren und dort nun viel weiter sein können. Aber diese Abdeckung verschiedener Seiten von Budo ist für mich inzwischen unverzichtbar. Eigentlich würde ich gerne noch Anderes hinzunehmen, aber dann wiederum fehlt es an Zeit und Finanzen, um es richtig zu betreiben.

Das obige Bild stammt von meinem letzten Tag in Pisa. Das Seminar war zu Ende, die meisten Teilnehmer waren schon abgereist, nur Wenige warteten noch auf ihre Züge oder Flüge. Bei der Hitze konnte man nicht lange in der Stadt umher gehen. Zumeist war ich auf der Suche nach Schatten und öffentlichen Trinkwasserquellen, wo ich meine Flasche auffüllen konnte. Statt einer richtigen Stadtbesichtigung ging ich nur umher und fotografierte hier und dort. Diese paar Stunden waren geprägt von den Eindrücken, die in der plötzlichen Leere und Untätigkeit nach dem Ende eines Seminars immer auf ganz typische Weise zum Vorschein kommen. Eigentlich möchte man noch weiter trainieren. Oder in Italien bleiben. Aber im Schatten!

Die letzte Zeit vor der Rückkehr zum Flughafen saß ich also im überdachten Vorhof einer kleinen Pizzeria, regungslos und stumm mit einem leichten Bier. Ein bisschen in feierlicher Stimmung. Ein bisschen sentimental. Und eigentlich angenehm erschöpft.

Pisa

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  1. 神道夢想流
  2. so etwa Kenjutsu
  3. also festgelegte Sequenzen, die einen Zweikampf repräsentieren, aber als Lehrmethode dienen
  4. Hinzu kommt noch Toyama Ryu, falls man alle aufzählen will.