Die Idee zu diesem Text ist mir kürzlich gekommen, weil ich viele Personen kenne, die der Entwicklung und Verbreitung von Künstlicher Intelligenz sehr skeptisch gegenüber stehen, dabei aber wenig Möglichkeiten sehen, überhaupt Einfluss zu nehmen. Die ungeheure Macht dieser neuen Technologie steht der immensen Machtlosigkeit großer Teile der Bevölkerung gegenüber, denen es nicht gegeben ist, zu entscheiden, welche Rolle sie in ihrem Leben spielt.
Statt jetzt Argumente des Für und Wider durchzugehen, wofür ich nicht qualifiziert bin, habe ich mir überlegt, ob es nicht allgemeine Ansätze gibt, wie man mit neuen Technologien umgehen kann, die einem nicht geheuer sind. Denn grundsätzlich ist diese Erscheinung nicht neu und sie wird mit KI auch nicht enden.
Mir ist dabei ein Verein eingefallen, der mit Freiwilligen ein Café in einem Bergdorf betreibt. Veranstaltungshinweise werden per Newsletter verschickt. Wer vor Ort lebt, braucht aber weder Internet noch Smartphone. Vom Internet wird also nur derjenige Teil verwendet, der einen zusätzlichen Nutzen bringt. Es gibt weder Chats noch Online-Meetups, weder Online-Essens- oder Kaffeebestellungen oder Reservierungen, und vielleicht existiert auch die Mitgliederliste bloß auf Papier.
Akzeptanz und Einfluss
Allgemein lässt sich die persönliche Einstellung zu Fortschritt und zu Technologie in allen möglichen Abstufungen ausdrücken, von positiv zu negativ, von optimistisch, vertrauensvoll oder innovationsfreudig bis hin zu pessimistisch, misstrauisch und langsame Entwicklungen bevorzugend, wo nicht alle neuen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, sondern sich das reale Kosten-Nutzen-Verhältnis erst im Laufe der Zeit erweisen muss.
Soweit zur Einstellung. Die Möglichkeiten, auf die tatsächliche Entwicklung Einfluss zu nehmen, wie es der Einstellung entspricht, erscheinen jedoch viel beschränkter, mit weit weniger Optionen. Wir können nicht entscheiden, wie viel der Erdoberfläche von Satelliten erfasst wird und ob unser Arbeitgeber naive Technikbegeisterung verlangt. Diejenigen, die entscheiden, sind oft gerade die Befürworter, da sie zu den aktiveren Teilen der Bevölkerung gehören, weil sie wirtschaftliche Argumente auf ihrer Seite haben und damit die Politik bestimmen und weil sie durch ihr Interesse ein tieferes Wissen in dem Bereich haben als diejenigen, die nichts davon wissen wollen, und damit auch die besseren Argumente.
Wer nicht völlig dafür ist, kann zwar eine passive, abwartende Haltung einnehmen, sieht sich aber später oft vor der Entscheidung, entweder klein beizugeben oder wachsende Nachteile in Kauf zu nehmen, und dies selbst dort, wo eigentlich Alternativen möglich wären.
Ein Beispiel sind Smartphones, ohne die es immer schwieriger wird, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen. In vielen Ländern wird bereits der Besitz einer Mobilfunknummer vorausgesetzt. Ohne sie sind viele Dienstleistungen und Erledigungen schlichtweg unmöglich.
Um dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegenzuwirken, hilft es oft schon, den Umfang des Neuen zu erfassen, Informationen zu sammeln und seine Bestandteile zu identifizieren. Statt eines Alles-Oder-Nichts sollte man sich die Möglichkeit einer bewussten Auswahl offenhalten. Statt eines Jetzt-Oder-Nie kann man auf verschiedene Entwicklungsstufen reagieren, wenn sie kommen oder wenn man selbst so weit fortgeschritten ist.

Reaktionsfähigkeit statt Dogmatismus
Ich habe mir verschiedene Stufen überlegt, die chronologisch aufeinander abfolgen können, die aber nicht alle auftreten müssen.
1. Kennenlernen
Der erste Schritt ist, das Neue zu verstehen: Seine Reichweite, seine Neuerungen, seine Innovation, seine Versprechen und seine Gefahren, seine Entwicklung und seine Wirkung auf Wissenschaft, Politik und verschiedene Bereiche der Gesellschaft.
Eine wichtige Rolle spielen hier Experten, die in der Lage sind, schwierige Zusammenhänge zu erklären. Natürlich verfolgen sie dabei oft ihre eigenen Interessen. Doktoranden und Forschern etwa tendieren dazu, den allgemeinen Nutzen ihres Gebiets überzubewerten und mögliche Risiken herunterzuspielen, denn sonst würden sie sich selbst das Wasser abgraben. Auch Startups propagieren oft eine einseitig positive Vision der Technologie, in die sie investieren.
Es gehört zur Stärke einer Zivilgesellschaft, dass es für alle Gebiete Experten gibt, die sämtliche wichtigen Entwicklungen verfolgen und verstehen und sie der interessierten Allgemeinheit öffnen. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, dass Experten den Gegenstand zumindest anderen Experten aus benachbarten Fachgebieten erklären können. Um diejenigen, die die Technologie vorantreiben, gibt es Kreise von anderen, die sie zumindest verstehen, und darum wiederum Kreise von Leuten, die merken, ob ihnen etwas weisgemacht wird, und dann solche, die die gesellschaftliche Relevanz einschätzen können und wissen, ob sie hier aktiv werden sollten.
Eine gesunde Gesellschaft verfügt über dieses Kontinuum von extremen Experten bis hin zu interessierten Gruppen und Individuen. Andernfalls entsteht irgendwo eine Bruchlinie und ein großer Teil der Bevölkerung kann nicht mehr über die Sache urteilen, obwohl er das gern möchte.
2. Bewertung
Basierend auf den verfügbaren Informationen wird sich nach und nach eine Position herausbilden oder festigen, oder umgekehrt ins Wanken geraten.
Ich denke, dass man sich bei der Bewertung der neuen Technologie nicht drängen lassen sollte. Vielleicht sucht man vergebens eine verständliche Beschreibung oder Zusammenfassung, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können. Vielleicht ist die Entwicklung zu schnell und man lehnt sie deshalb ab, weil man nicht mitkommt und sich nicht die nötige Kompetenz aufbauen kann. Vielleicht auch sieht man die Vorzüge, findet aber, dass andere Leute profitieren als diejenigen, die die Lasten tragen.
Das kann durchaus zu einem vorläufigen Urteil führen: Solange sich ein bestimmter Aspekt nicht bessert, ist es das Risiko nicht Wert.
3. Segmentierung
Eine Neuerung muss nicht notwendigerweise als Ganzes akzeptiert oder abgelehnt werden. Oft wird einem etwas en bloc verkauft: Wenn man KI in der medizinischen Diagnose akzeptiert, dann hat man sie auf einmal auch in jedem Küchengerät. Diese Logik ist aber überhaupt nicht zwingend.
Wer sich auf diese Logik einlässt, gibt unnötig viel Kontrolle auf und lässt auf eine engere Wahl reduzieren, als es nötig wäre. Zudem bringt man sich um die Möglichkeit, einen Teil der neuen Technologie subversiv zu verwenden.
4. Positionierung
Im Extremfall kann dies heißen, die neue Entwicklung – in Teilen oder ganz – zu begrüßen oder abzulehnen. Ich kann etwas Interessantes ablehnen, weil ich es nicht brauche. Oder ich kann etwas Riskantes begrüßen, weil wir ein Problem haben, auf das es nicht viele Lösungsvorschläge gibt.
Ebenso wichtig wie die Position zu einer neuen Entwicklung erscheint mir, dass man ehrlich mit sich selbst ist, wie man zu dieser Position gelangt ist. Da kann zum Beispiel eine Rolle spielen, dass man nicht versteht, was vor sich geht, dass eine Gruppe von Personen entscheidet, die meine Interessen nicht kennt oder nicht berücksichtigt oder dass ich schnellen Entwicklungen generelle misstraue, vielleicht aus einer früheren Erfahrung heraus.
Man sollte sich folglich auch die Möglichkeit offen halten, seinen Standpunkt zu verändern, wenn neue Informationen oder Einsichten auftauchen. Die Zeit spielt hier eine wichtige Rolle. Wenn etwas, das einmal als riskant galt, lange problemlos funktioniert hat, dann können wir es nun eher unterstützen.
5. Akzeptanz oder Isolation
Irgendwann kommt vielleicht der Punkt, an dem eine neue Technologie uns vor die Wahl stellt, sie entweder zu akzeptieren oder sich gesellschaftlich zu isolieren. Das muss nicht immer so sein. Etwas Neues mag auch verschwinden oder im Bereich derjeniger Personen bleiben, die es aktiv für sich wollen.
Dieser Kipppunkt wird dadurch gekennzeichnet, dass früher unser Nichtstun keine Zustimmung bedeutet hatte (opt-in), während wir nun ausdrücklich widersprechen müssen (opt-out). Oder anders gesagt: Während wir früher unser Leben ändern müssten, um diese Technologie an uns heranzulassen, so müssen wir es nun ändern, um nicht mit ihr in Kontakt zu treten.
Die erforderlichen Anstrengungen, um uns zu entziehen, können uns zunehmend einschränken. Zum Beispiel könnte es den Wahl des Wohnortes betreffen, die beruflichen Chancen oder die Wahl der Freunde. Wenn ich nicht will, dass jemand meine persönlichen Daten an den Betreiber einer Chat-App schickt, so hilft oft nur, dass ich nicht in ihrem Adressbuch erscheine. Wenn ich die Benutzung bestimmter Verkehrsmittel oder Firmen ablehne, dann stehen mir bestimmte Berufe, in denen eine unkritische Haltung vorausgesetzt wird, nicht mehr offen.
Wir müssen also mit der Situation rechnen, dass wir etwas akzeptieren müssen, um uns das Leben nicht auf unzumutbare Weise zu erschweren und sogar die Kontrolle in anderen, ähnlichen Fällen aufzugeben. Wichtig ist mir zu verstehen, dass man durch Akzeptanz nicht alles aufgibt, weder seine Identität, noch seine sein ethischen Werte. Manches muss man akzeptieren, weil man dazu gezwungen ist oder weil man so im Endeffekt mehr erreicht, als wenn man sich psychisch daran abarbeiten würde. Etwas zu akzeptieren heißt nur, einen neuen Ausgangspunkt einzunehmen. Das ist ein normaler Vorgang im Leben. Wir werden älter, irgendetwas geht nicht mehr, also müssen wir es kompensieren, wir müssen neue Wege suchen und früher verworfene Optionen neu bewerten, wir suchen neue Mitstreiter und Mittel, mit den neuen Grenzen der Freiheit umzugehen, etwa mit Humor.
Akzeptanz markiert keinen Endpunkt, sondern eine Inventur und eine Neuausrichtung.
Akzeptanz heißt umgekehrt aber auch nicht, alle Maßstäbe aufzugeben und sich einfach treiben zu lassen. Akzeptanz muss nicht heißen, zur den Stärkeren überzulaufen.
6. Ausschlachten
Den Begriff des “Ausschlachtens” kenne ich aus meiner Jugend, als wir elektronische Geräte aus dem Elektroschrott holten und alle interessanten Bauteile ausbauten, bevor wir den Rest dem Müll übergaben. Im Fall von Technologien könnte man auch von einer “subversiven Nutzung” sprechen.
Schon zuvor habe ich hervorgehoben, dass das Ungewollte oft segmentiert werden kann und man selten vor einer Wahl des “alles oder nichts” steht.
Mein Anschluss für das Internet etwa kommt per Glasfaser, das kann ich nicht ändern. Im Angebot sind immer auch Fernsehkanäle dabei. In dem Fall ist die Segmentierung einfach: Ich habe keinen Fernseher. Die Kanäle muss ich akzeptieren, aber ich lasse mir davon nicht eine bestimmte Lebensweise aufzwingen. Und damit brauche ich mich auch nicht über das unerwünschte Zusatzangebot zu ärgern.
Noch eindeutiger ist es, wenn jemand eine neue Technologie überhaupt erst dann zu nutzen beginnt, wenn sie unvermeidbar wird. Aber auch hier handelt es sich nicht um eine Kapitulation, denn bestimmte Bestandteile lassen sich oft verwenden, um gerade die Opfer dieser Technologie zu unterstützen.
Zum Beispiel lassen sich Emails verwenden, um Aktionen in der realen Welt zu organisieren. Es ist so banal, dass wir es kaum bemerken, aber Menschen haben sich seit Jahrzehnten per Telefon zu persönlichen Treffen verabredet. Es ist gut möglich, dass die Möglichkeiten persönlicher Treffen durch dieses mittelbare Kommunikationsmedium sogar zugenommen haben, denn nun konnte man sich über weite Entfernungen hinweg verabreden.
Warum nicht etwa KI dazu verwenden, um KI-freie Bereich mehr zu fördern, als dies früher möglich war? Es ist sicher nicht der intuitive Weg, und es ist nicht der erste, denn eine KI-Gegnerin einschlagen würde. Aber im Endeffekt mag er ihr mehr nützen, als wenn sie sich bloß passiv hätte zurückdrängen lassen, eingeschränkt durch Unkenntnis, Berührungsängste und Dogmatismus.
7. Lernen
Kein technologisches Phänomen ist wirklich neu, aber der Verlauf mag sich verändern.
Vielleicht trat früher alle fünfzig Jahre eine Revolution ein, während sie heute alle zehn Jahre kommt. Vielleicht führten frühere Entwicklungen immer dazu, dass ältere Generationen abgehängt wurden, während nun eine stärkere Einbindung möglich ist (etwa durch Seh- und Hörhilfen, durch Prothesen oder Fahrassistenten). Vielleicht auch erweitern sich die Möglichkeiten (etwa im hohen Alter zu Hause zu leben), indem man gewisse Konzessionen macht (Lieferung von Lebensmitteln per Drohne, Telemedizin). Vielleicht aber ist es auch so, dass der Anteil der Bevölkerung, die eine neue Technologie beherrscht und lenkt, immer kleiner wird.
Diese “Entwicklungen zweiter Ordnung” zu sehen, wie sich also Entwicklungen entwickeln, kann uns helfen, besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Zudem werden Erfahrungen besser mitteilbar, wenn es einem gelingt, den eigenen, konkreten Erfahrungshorizont durchlässiger zu machen.
Zum Schluss
Angesichts dessen, dass ich nur ein paar Gedanken festhalten wollte, ist nun doch ein gewisser Umfang entstanden. Das sollte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass es sich um eine ausgearbeitete und endgültige Arbeit handelt.
Ich hoffe, dass der Text zumindest ein paar Denkanstöße gegeben hat.
Autoren der Fotos: Claudio Poggio, Victrola Record Players, Daniel, Hannah Olinger